Das Thema des möglichst effizienten und nachhaltigen Einsatzes von Ressourcen und Materialien ist durch die aktuelle weltpolitische Situation, die gestiegenen Energiepreise und die teilweise gestörten Lieferketten aktueller denn je und beschäftigt uns momentan in fast jeder Produktentwicklung.
Dabei spielt die richtige Auswahl des Materials bei der Auslegung von Produkten, deren Recyclebarkeit und auch der Einsatz von bereits recycelten Rohmaterialien eine wichtige Rolle.
Hier gilt jedoch, den geplanten Einsatzzweck des Produktes, die auftretenden mechanischen Belastungen und die geplante Lebensdauer ebenfalls genau zu reflektieren und diese Faktoren und die technischen Materialeigenschaften bereits bei der Entwicklung und Produktionsplanung frühzeitig zu berücksichtigen.
Rezyklate bieten neben dem positiven Aspekt der Ressourcenschonung nämlich auch Unterschiede in der Verarbeitbarkeit und den mechanischen Eigenschaften, so dass nicht einfach „im laufenden Prozess" ein Produkt im Nachhinein von Neuware auf recyceltes Rohmaterial umgestellt werden kann. Vielmehr muss ein – ggf. erst im weiteren Produktionsverlauf geplanter – Einsatz von Rezyklaten bereits bei der Artikelkonstruktion beachtet werden.
Dieser Beitrag soll hierzu ein paar Orientierungspunkte liefern:
1. Begriffsbestimmung
Rezyklate (aus thermoplastische Kunststoffen) sind Kunststoffe, die schon einen Verarbeitungsprozess als virginales/originales Material durch Umformen „durchlitten" haben nochmals verwendet werden sollen.
Nach Material:
- Sortenreine Industrieabfälle: (Ausschuss, Produktionsabfälle) Materialtyp und Farbe meist bekannt
- Post-Consumer-Material: z. B. aus dem Gelben Sack; meist ein Gemisch aus verschiedenen, aber ähnlichen Kunststoffen (meist PE/PP-Gemisch)
Nach Aufbereitung:
- Mahlgut 1: Ausschussteile und Produktionsabfälle (Angüsse) werden in Schlagmühlen zerkleinert, gesiebt (nach Partikelgröße und entstaub) und meist dem Produktionsprozess direkt wieder zugeführt.
- Mahlgut 2: Post-consumer Material wird gesammelt, geschreddert und so an den Verarbeiter geliefert.
- Regranulat: Zerkleinerte Kunststoffabfälle werden wieder aufgeschmolzen, extrudiert und wieder zu Granulatkörnern verarbeitet.
- Chemisches Recycling: Nicht mehr von Rezyklat als Ergebnis spricht man beim chemischen Recycling. Hier werden die Kunststoffe z. B. durch Pyrolyse in ihrer chemischen Grundbestandteile aufgebrochen und wieder zu „Originalidentischem Material" zusammengesetzt werden. Dies ist allerdings noch etwas Zukunftsmusik. Mit chemisch recycelten Kunststoffen ist in nennenswerten Mengen erst in 2-3 Jahren zu rechnen.
Nach Qualität:
- Off-Spec-Ware: Der Hersteller kann Materialeigenschaften wegen schwankender Zusammensetzung o. ä. nicht genau definieren. Deutliche Prozess- und Eigenschaftsschwankungen sind zu erwarten
- Spec-Ware: Der Hersteller kann Materialeigenschaften in technisch sinnvollen Grenzen zusichern. Für diese Materialien ist seitens der Hersteller auch ein Materialdatenblatt verfügbar.
2. Grundsätzlicher Einfluss des Recyclings auf die Materialeigenschaften
Durch die Verkürzung der Molekülketten ergeben sich i.d.R. folgende Eigenschaftsveränderungen:Verschlechterung der Zugfestigkeit, Dehnung, Schlagzähigkeit und chem. Beständigkeit, teilweise Verbesserung der Steifigkeit und Fließfähigkeit.
Besonders die Verschiebung der mechanischen Kennwerte in Richtung „Sprödigkeit" müssen bei der Produktentwicklung berücksichtigt werden.
Für die Herstellung unserer meist hochwertigen Produkte mit Anspruch an Funktionalität, Optik, Haptik und Lebensdauer kommet als Rezyklat grundsätzlich nur Spec- Ware, also Materialien mit einem zugesicherten Eigenschaftsprofil, in Frage. Die im Datenblatt genannten Materialkennwerte und Eigenschaften helfen bei der Materialauswahl und zur Vergleichbarkeit mit anderen Rezyklaten oder Originalmaterial.
3. Anwendungsbeispiel
Obere Tabelle:
ABS-Neumaterial Terluran GP22
Rot: ABS Rezyklat SPEC-Ware
Gegenüberstellung der mechanischen Kennwerte (Kerbschlagzähigkeit bei Raumtemperatur)
Untere Tabelle:
ABS, Rezyklat, Spec-Ware
Hier ist ein deutlicher Unterschied bei der Kerbschlagzähigkeit zwischen den Materialtypen zu sehen. Ein 54% niederer Wert lässt auf ein - im Vergleich zum Neumaterial - erheblich spröderes Material schließen.
Während die Produkte aus Neumaterial Fallversuche aus 1m Höhe unbeschadet überstanden, kam es bei den Boxen aus Rezyklat regelmäßig zu Brüchen in den Hauptbelastungszonen (siehe Bild 01 + 02 im Slider).
Je nach Anwendungsfall kann nicht ohne weiteres zwischen Rezyklat und Neuware getauscht werden. Die konstruktive Auslegung muss bei beabsichtigtem Einsatz von Rezyklat auf die teilweise deutlich veränderten Materialkennwerte ausgelegt werden:
- Angepasste Wandstärken
- Konsequente Vermeidung von Kerben, möglichst große Übergangsradien
- Verstärkung von Belastungszonen
Diese Faktoren müssen bereits bei der Artikelkonstruktion beachtet werden. Nur so wird ein Produkt durch den Einsatz von Rezyklaten wirklich Resourcenschonender, ohne seine Funktionalität zu gefährden – denn sonst würde es deutlich früher „in der Tonne" landen, als geplant.