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01. April 2013

Wissensmanagement und Wissenskategorisierung in der Produktentwicklung - Eine strategische Herausforderung

Die Rolle von Wissen hat sich im 21. Jahrhundert grundsätzlich verändert. "Nach der Entwicklung von Agrar- zu Industriegesellschaften ist nun der Übergang von Industrie- zu Wissensgesellschaften zu beobachten. Im heutigen wissens- und innovationsorientierten Kommunikationszeitalters wird das im Unternehmen vorhandene Wissenskapital (…) zum entscheidenden Produktionsfaktor (…), der neben Kapital, Arbeit und Boden tritt." 

(Zitat UdZ - Unternehmen der Zukunft, FIR-Zeitschrift für Betriebsorganisation und Unternehmensentwicklung, 10. Jg., Heft 3/2009, ISSN 1439-2585, Seite 17-19 – Wivu-Transfer: Wissen zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort - ist das möglich?)

Diese Entwicklung zur Wissensgesellschaft wird in der Literatur oft auch als der "dritte gewaltige Paradigmenwechsel in der Geschichte der Menschheit" bezeichnet.
(Zitat Miegel, M.. "Von der Arbeitskraft zum Wissen. Merkmale einer gesellschaftlichen Revolution" in: Merkur.)

Wissen und die daraus resultierende Mitarbeiterqualifikation, Arbeitsleistung und -qualität sind besonders in der Produktentwicklung essentiell.

 Die eigentlichen Produktions- und Produktivitätsfaktoren stellen hier keine standardisierten und einheitlich upgradebaren Maschinen dar, sondern Menschen mit individuellen Hintergründen und Qualitäten im Blick auf ihre Ausbildung, praktischen Erfahrungen und ihr Lernverhalten. Anders als in der Produktion mit klar definierten Prozessen, abgegrenzten Produkten und Lebenszyklen ist die Produktentwicklung mit häufig wechselnden Projekten, Produktbereichen und Teams hinsichtlich der Wissensanforderungen äußerst anspruchsvoll und diversifiziert. 

Umso wichtiger sind deshalb kontinuierliche und strukturierte Definition, Erfassung, Pflege und Weitergabe von fachlichem und methodischem Wissen sowie von Erfahrungswerten, die auf andere Projekte übertragen werden können. Dies gilt für Start und Verlauf von Projekten sowie innerhalb der Fachabteilungen. Einmal mehr ein Grund für intensive Briefing- und Review-Workshops und eindeutige Pflichtenhefte!

Auch wir von BUSSE Design+Engineering stellen uns diesem Thema. Bereits Anfang 2012 haben wir begonnen, das Wissensmanagement auszubauen und zu intensivieren. Dies durch eine Vielzahl von internen und externen Schulungen, Mitarbeiter-Spezialisierungen, Zusammenführungen von Informationssammlungen, internen Klausurtagungen und Lessons-Learned-Veranstaltungen und daraus abgeleiteten Prozessleitfäden. So entwickeln wir uns mit unseren Kunden, Mitarbeitern und Projekten ständig weiter und können möglichst alle Optimierungspotenziale nutzen.

Genauso wie vielen unserer Kunden stellen sich hier zahlreiche Herausforderungen:
Die Problematik heutzutage liegt bei der exakten Auswahl eines für die Mitarbeiter und Projekte relevanten Wissenssets und von Weiterbildungsmaßnahmen aus der Flut der verfügbaren Informationen und Angebote. Die weitere große Herausforderung liegt in der Auswahl der Art des Wissenstransfers (Datenbanken, Vorträge, Schulungen Inhouse / Exhouse, digitale und gegenständliche Archive etc.), um einen möglichst effizienten Wissenseinsatz und ein für die Mitarbeiter attraktiven Anreiz zur Nutzung zu schaffen. Trotz des digitalen Zeitalters müssen besonders in der Produktentwicklung die Informationen nicht nur auf Papier oder dem Bildschirm vorgehalten werden, sondern begreifbar als Musterteile oder klassische Nachschlagwerke.

Wissensmanagement
Die Fachliteratur beschreibt Wissensmanagement als den Prozess "der Verbesserung der Fähigkeiten auf allen Ebenen der Organisation durch einen besseren Umgang mit der Ressource Wissen".
Probst, G., Raub, St., Romhardt, K.: Wissen managen - Wie Unternehmen ihre wertvollste Ressource nutzen. Gabler. 2006. Seite 25 ff.

"Die Zielsetzungen praktischen Wissensmanagements gehen dabei deutlich über die reine Versorgung der Mitarbeiter mit Informationen hinaus: Vielmehr sollen Mitarbeiter lernend Fähigkeiten entwickeln und wertschöpfend einsetzen. Dies durch das Vorhalten von kodifizierbares Wissen in Dokumenten und anderweitige Transferierung von Wissen, das nicht kodifiziert werden kann."
Den idealen Prozess des Wissensmanagements stellt das Bausteinmodell nach Probst, Raub & Romhardt dar.

Wichtig ist dabei, im Vorfeld zum Wissensaufbau exakt festzulegen, auf welchen Ebenen welche Fähigkeiten aufgebaut werden sollen (Wissensziele). Hierzu muss bei der Wissensidentifikation ein Überblick gewonnen werden über die vorhandenen internen und externen Daten, Informationen und Fähigkeiten. Dies geschieht am besten über Mitarbeitergespräche, Potenzialeinschätzungen und Assessments anhand eines für das eigene Unternehmen standardisierten idealen Wissenssets.
Durch Trainings von Experten, Dialoge/Zusammenarbeiten mit besonders Know-How behafteten Unternehmen, Mitarbeitern und Beratern kann entsprechendes Wissen aufgebaut und erworben werden (Wissenserwerb). Ergänzend/alternativ hierzu muss jenes Wissen intern entwickelt werden, das nicht oder nicht auf die Firmenbelange zugeschnitten extern gelehrt werden kann (Wissensentwicklung).
Mittels entsprechend ausgewählter Dokumentationsmethoden (Datenbanken, eigene Prozesshandbücher, Intranet-Links, Tutorials, Videomitschnitte etc.) muss dann die Wissensverteilung, und Wissensbewahrung organisiert werden, um dieses Wissen auch langfristig nutzen zu können.

Wissenskategorien
Doch was ist eigentlich Wissen? Und welches Wissen ist für die Produktentwicklung relevant?
"Generell wird Wissen als ein für Personen oder Gruppen verfügbarer Bestand von Fakten, Theorien und Regeln verstanden." "Wissen besteht aus Fähigkeiten und Kenntnissen, verbunden mit Erfahrungen, Gefühlen, Werten und Ahnungen. Wissen ist ein immaterielles Gut, dessen Wert sich durch den Gebrauch und Teilung erhöht (im Gegensatz zu allen anderen Ressourcen) und dessen Nutzen erst im Rückblick bewertbar ist". (Zitat: Gerhards, Wissensmanagement. München: Hanser. 2010)

Die Literatur unterscheidet drei grundsätzliche Wissenskategorien mit durchaus unterschiedlichen Transfermöglichkeiten und Dokumentierbarkeiten.

So ist explizites Wissen (z. B. Materialkennwerte etc.) relativ einfach zu dokumentieren und zu lernen.
Implizite oder prozeduale Inhalte beziehen sich oft auf Handlungsabläufe. Sie lassen sich dagegen nur sehr schwer beschreiben und kaum anhand einer reinen Beschreibung anwenden. (z. B. Routine in der Erstellung von parametrischen CAD-Strukturen). Ein typisches Beispiel für prozedurales Wissen ist z. B. Fahrrad fahren. So können etwa viele Menschen Fahrrad fahren, ohne dass sie sich der einzelnen motorisch notwendigen Aktionen bewusst sind. Für die Weitergabe von implizitem Wissen und dem nachfolgend dargestelltem empirischen Wissen bedarf es daher wesentlich aufwändigeren Methoden; diese können oft nur von Mensch zu Mensch weitergegeben und an Situationsaufgaben oder im Tagesgeschäft erlernt werden.
Empirisches Wissen entsteht nur durch unmittelbares, persönliches Erleben. Diese Erfahrungen können natürlich durch Erzählungen, Berichte, Unterricht oder Massenmedien weitergegeben werden. Jedoch sind sie dann für den Empfänger keine Erfahrungen im engeren Sinne mehr, sondern "bloßes, abstraktes Wissen", welches er in der entsprechenden Situation dann richtig abrufen und anwenden können muss. Für die Übermittlung von empirischem Wissen helfen vor allen Dingen Mentorships, "Wissenscafés" und "Story Tellings", bei denen Kollegen und Mitarbeiter von den positiven und negativen Erfahrungen der Anderen profitieren und für die entsprechenden Situationen sensibilisiert werden. Hier bieten sich ein Videomitschnitt und die Ableitung von konkreten Handlungsvorgaben für die Zukunft als Dokumentation an.

Angelehnt an diesen Kategorien haben wir bei BUSSE das bei uns im Unternehmen relevante Wissensset beispielhaft für unsere Konstruktionsabteilung typisiert. Allein für diesen Fachbereich ergibt sich ein zu pflegendes Wissen in 5 Hauptkategorien mit 66 Detail-Wissensbereichen:

  • Fach- und Materialkompetenz als explizites Fachwissen mit 18 identifizierten Detail-Wissensbereichen
  • Konstruktions- und Konzeptionskompetenz als implizites & empirisches Wissen mit 11 Detail-Wissensbereichen
  • Softwarekenntnisse als prozeduales und empirisches Wissen mit 2 grundlegenden CAD-Systemen und 7 Detail-Wissensbereichen
  • Entwicklungserfahrung als empirisches Wissen mit 20 identifizierten Detail-Wissensbereichen
  • Entwicklungsmethodik als prozeduales und methodisches Wissen mit 3 Untergruppen und 10 Detailbereichen 

Lernzieltaxonomien – wie kann das Wissen vermittelt werden?
Bezüglich der Bewertung der jeweiligen Wissens-Kenntnisstände existieren verschiedenste Methoden und Klassifizierungen. Ein interessantes Modell stellt hier die Lernzieltaxonomie nach Andreson & Krathwool (A taxonomy for learning, 2001) dar, welche neben den oben beschriebenen Wissenskategorien auch den kognitiven Prozesses einschließt.

In diesem Schema werden die verschiedenen Kenntnisstufen und Fähigkeiten eingeteilt in:
Erinnern (als niedrigste Kenntnisstufe), Verstehen, Anwenden, Analysieren, Bewerten und Erzeugen (als höchste Fähigkeitsstufe).

Aufbauend auf diesem Schema haben Horst O. Mayer, Johannes Hertnagel und Heidi Weber 
(Quelle: Lernzielüberprüfung im eLearning, Oldenbourg Verlag, München/Wien, 2009)
den verschiedenen Wissenstypen und Fähigkeitsklassen entsprechende Lernmethoden zugeordnet. 

Hier wird relativ deutlich, dass hohe Fähigkeitsklassen und wertvolle Wissenskategorien am besten durch Simulationen, Situationsaufgaben und offene Aufgabenstellungen trainiert und überprüft werden können.
Reines Faktenwissen lässt sich dagegen einfach über Multiple Choice-Aufgaben abfragen und erlernen.

 "Kluge Menschen suchen sich die Erfahrungen selbst aus, die sie zu machen wünschen."

Aldous Huxley 

Gerade bei der Produktentwicklung ist der Anteil an konzeptionellen, also impliziten und prozedualen Fähigkeiten sowie empirischem Erfahrungs-Wissen äußerst wichtig. Dieses gilt es durch maximalen Informationstransfer, umfassende Kommunikation bestehender Erfahrungswerte und etablierte Prozesse ständig weiterzugeben und zu sensibilisieren.

Eine Aufgabe, die uns und Sie sicherlich herausfordert und noch eine Weile beschäftigen wird – die aber einen essentiellen Faktor für die zukünftige Innovationskraft und Leistungsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandorts darstellt. 

Ihr Ansprechpartner bei BUSSE:
Felix Timm, Tel.: +49 (0)7308 811 499 23, 
timm@busse-design.com

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